Diese Frage ist durchaus legitim. Vor mehr als 20 Jahren stand ich in dem wilden Land Ecuador am Pazifik und fragte mich dies. Was soll das alles hier? Damals wusste ich nicht, dass es dort in Ecuador am Strand der Anfang einer langen inneren Reise sein würde. Einer inneren Reise, die mich jetzt 20 Jahre später so reich beschenkt hat, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Einer inneren Reise, die mir dazu verholfen hat, das Leben meiner wirklichen Träume zu leben. Ein Leben, in dem ich nur noch ausschließlich das tue, für das ich begeistert bin, was ich liebe. Diese innere Reise hat mich zu meinem Zentrum geführt, – mich glücklich gemacht.
Doch bevor ich euch erzähle, was sich auf meiner persönlichen Reise zum Glücklichsein alles ereignete, welche Abenteuer oder Entwicklungshinweise auf mich zukamen, berichte ich euch zunächst von meinem persönlichen Null- oder Wendepunkt in Ecuador. Der ja ebenso ein Entwicklungshinweis war.
Viel Spaß!
Sven
Es war Ende 1998. Ich stand an einem einsamen, annähernd unbebauten Strand in Ecuador und starrte auf das Meer. Es war um die Mittagszeit. Die Sonne schien vom wolkenlosen, tiefblauen Himmel und blendete mich. Es war angenehm warm. Der Strand war kilometerlang, vielleicht hundert Meter breit und nahezu menschenleer. Am hinteren Ende des Sandstreifens standen einige teilweise verwitterte Strandhütten mit Dächern aus Palmenblättern parallel zum Meer. In der Ferne konnte ich auf dem Ozean Fischer auf ihren Booten sehen, die ihrem Tagewerk nachgingen. Ab und zu lief mal hier mal da ein Einheimischer an mir vorbei. Die Wellen waren ungefähr einen Meter hoch und die im Zenit stehende Sonne brach sich in ihnen, so dass sie wie Diamanten funkelten. Die Gerüche von Meersalz, feuchtem Sand und nassen, modrigen Algen vermischten sich in meiner Nase.
Ich war gerade mal siebenundzwanzig und hatte all das erreicht, was ich mir zuvor erträumt hatte. Ich war nach Ecuador ausgewandert, war Besitzer des hervorragend laufenden, berühmt-berüchtigten Backpacker-Clubs „Arribar“ in der Hauptstadt Quito, in dem wir rauschende Feste feierten und der beinahe jeden Abend aus allen Nähten platzte. Ich hatte es geschafft, dem Leistungsdruck in Mitteleuropa zu entfliehen und hatte mir zusammen mit meinem Geschäftspartner eine kleine Enklave aufgebaut, in der jeder von uns nur noch zwölf Tage im Monat arbeiten musste, weil wir uns den Dienst in unserer Bar teilten. Wobei man unseren Job nicht wirklich Arbeit nennen konnte, da wir Musik auflegten und ab und zu mal ein Bier oder einen Cocktail über den Tresen gaben, wenn unsere Angestellten dem Ansturm nicht mehr Herr wurden.
Die Belohnung für meinen Mut zum Auswandern waren überwiegend schönes Wetter, atemberaubende Landschaften und viele Reisen in meiner Freizeit. Ich hatte in Quito eine Penthouse Suite im fünfzehnten Stock mit enormer Dachterrasse und riesigen Fensterfronten angemietet, von der ich einen Rundumblick auf die gesamte südamerikanische Metropole hatte. In der Nightlife-Szene war ich bekannt wie ein bunter Hund und ging an den Schlangen vor den Clubs vorbei, um freudestrahlend und schulterklopfend von den Türstehern ohne zu bezahlen hineingelassen zu werden.
Es hätte eigentlich ein perfekter Tag sein müssen. Wenn da nicht dieses Unfassbare gewesen wäre, was mich jeglicher Illusion beraubte: Gerade die Verwirklichung meiner Träume, denen ich so lange hinterher gelaufen war, hatte mich in eine tiefe Krise gestürzt! Denn: Was gab es jetzt noch zu tun? Überraschenderweise befriedigten mich meine erreichten Ziele nicht. Meine Peiniger waren immer noch da: Die innere Leere, die unermüdliche Unruhe, die nicht lokalisierbare Traurigkeit, eine Art Vermissen aber nicht genau wissend was, eine Art Sehnsucht aber nicht genau erfassend wonach und die Frage nach dem Sinn des Ganzen, was hier vor unseren Augen abläuft, welches wir Leben nennen. Gerade diese Plagegeister waren die Hauptbestandteile des Motors, der mich nach Südamerika gebracht hatte. Ich wollte sie durch die Erfüllung eines freiheitlichen Lebens loswerden. Aber dieses Unterfangen war offensichtlich eine Illusion. Ich fühlte mich nach wie vor verloren in dieser kalten einsamen Welt. Ungefähr so, wie es Jim Morrison von „The Doors“ in „Riders on the Storm“ besang.
„Riders on the storm
Into this house we’re born
Into this world we’re thrown
Like a dog without a bone
An actor out alone
Riders on the storm (…)“
Ich fragte mich, was das hier alles sollte. Ein großer dummer unglücklicher Zufall? Wir machen unsere Augen auf und befinden uns auf einer Kugel, die durch die Unendlichkeit rauscht. Scheinbar ohne jeglichen Hinweis wozu. Meine Mitmenschen killen sich gegenseitig wegen unnötigen und sinnlosen Machtspielchen. Wir privilegierten Westler sehen täglich dabei zu, wie Tausende, die hier ebenso ahnungslos auf diesem Erdball die Augen geöffnet haben, in unaussprechlichem Leid verhungern oder in sinnfreien Kriegen verrecken. Wir alle rackern uns ab und rennen irgendwelchen Zielen hinterher, zerstören dabei immer mehr unseren Lebensraum und verbrauchen die vermeintlich endlichen Ressourcen als ob es noch einen zweiten lebensfreundlichen Planeten um die Ecke gäbe. Doch wozu das alles? Was ist, wenn alle Ziele erreicht sind? Wenn man plötzlich die Karotte in der Hand hält, der man jahrelang hinterher gelaufen ist. Was dann? Selbst die größte Freiheit am Hintern der Welt auf einen ungebändigten Kontinent konnte mich nicht befriedigen. Mehr Freiheit und Selbstverwirklichung ging wirklich nicht! Der große Betrag mit den vielen Nullen auf meinem ecuadorianischen Konto war da auch kein bleibender Trost.
Somit stand ich trotz aller Selbstverwirklichung verzweifelt am Pazifik und fragte mich, ob das alles gewesen sein soll, was das Leben zu bieten hat.
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